Der Nebel der Geschichte beschränkt die Sicht

Der Herbst: meist feucht, kalt und neblig.

Es gibt Sonnenstrahlen, die den Nebel durchbrechen, die die dunklen Wolken aufreißen lassen, die Kälte vertreiben, die Feuchtigkeit verdunsten lassen. Das sind dann die schönen Momente, wie ich sie dieses Jahr im Herbst häufiger gesehen habe.

Nun neigt der Mensch dazu, sein soziales und politisches Leben auch mit Analogien zur Natur zu umschreiben. Da ist dann die Rede von der Sonne, der man entgegenstrebt. Manchmal sind es sogar nicht einmal beschreibende Analogien, sondern wird die Natur zum Urgrund allen dessen erklärt, wie der Mensch sein soziales, politisches Miteinander zu organisieren habe. Zu Recht gehen da bei vielen dann die Alarmglocken an.

Der Nebel der Geschichte, die dunklen Wolken der jüngeren deutschen Geschichte, sie beschränken oftmals die Sicht, dieser Nebel verhindert manches Mal auch eine klare Diskussion. Bestimmte Begriffe sind geschichtsbeladen und können daher in Auseinandersetzungen nicht benutzt werden, obwohl sie zuspitzend exakt das beschreiben, was gerade das Problem ist.

Der Nebel der Geschichte äußert sich in Begriffen wie "Top-down-Struktur", "Verschlankung von Entscheidungsprozessen", "Straffung von Strukturen" u.ä. Wer Strukturen strafft, schafft Gremien ab, wer Entscheidungsprozesse verschlankt, streicht Mitsprachemöglichkeiten, wer eine Top-down-Struktur einführt, will klare Führungstrukturen. Früher nannte man das einmal "Führerprinzip".

Der Nebel der Geschichte beschränkt auch die Sicht. Man sieht nur noch die Spitze des Berges, der aus dem Nebel ragt. Die Gesteinsmasse aber, das, worauf die Bergspitze ruht, ist im Nebel verborgen. Das "Führerprinzip" gehört zu den Elementen unseres Miteinanders, welches bei einer größeren Menge von Menschen - nicht nur in Deutschland - recht populär war und immer noch populär ist. Gemeinschafliches Gestalten ist anstrengend und erfordert Kompromissbereitschaft, doch gibt es viele Menschen, die ihre Sicht, ihre Entscheidungen für das einzige Wahre halten und diese dann auch - koste was es wolle - durchdrücken wollen.

Ein wesentliches Element des Miteinanders in der Kirche, in der ich mich trotz mancher Schwierigkeiten bisher heimisch fühlte, ist das presbyterial-synodale Element. Es gehört für mich zur evangelischen Identität. Ich habe aber mehr und mehr den Eindruck, dass dieses Element von etlichen Amtsträgern in dieser Kirche als störend wahrgenommen wird. Man möchte "führen", auf Gemeindeebene möglichst alleine, auf den höheren Ebenen konsistorial oder manches Mal sogar episkopal. Wesentliche Kontrollelemente geraten unter Druck oder werden gezielt geschwächt. Der Nebel der Geschichte verhindert auch hier eine klare Sicht, eine scharfe Analyse. Aus Tagesstimmungen heraus werden wichtige Strukturen "verschlankt".

Wer immer nur im Nebel stochert, kann irgendwann das Sonnenlicht auch nicht mehr ertragen. Will man dann noch die Sonne suchen?

  
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