Brauchen wir noch den Pfarrer?

Diese Frage las ich vor einiger Zeit im Netz – leider weiß ich nicht mehr, wo (es ging um ein Seminar in der Schweiz, meine ich). In der volkskirchlichen Tradition der preußischen Landeskirchen ist diese Frage nicht unbedingt naheliegend - solange die Gemeinden über genügend Geld verfügen. Doch seitdem die Kirchensteuereinnahmen nicht mehr so sprudeln, wird auch zunehmend die Rolle der hauptamtlichen Theologen in den Gemeinden neu überdacht.

Als Theologe hätte ich mir diese Frage eigentlich schon viel eher stellen müssen, vor allem als Glied einer reformatorischen Kirche. Nicht nur die angespannte Finanzsituation ist der Grund, warum ich mich in letzter Zeit immer wieder mit der Frage des Amtsverständnisses und der Position des Amtes beschäftige. Die wenige Literatur, die ich dazu bisher gelesen habe, legte mir bisher zwei Schlüsse nahe, nämlich dass 1. das Amtsverständnis das große Hindernis im Dialog zwischen der römisch-katholischen und den reformatorischen Kirchen ist und dass 2. auch die reformatorischen Kirchen in Deutschland sich auf Gemeindeebene eigentlich nie so richtig vom vorreformatorischen Organisationsmodell gelöst haben.

Vor allem der zweite Aspekt liegt mir schwer im Magen. Denn in vielen Fällen - und sicher in der jüngsten Zeit - ist der Pfarrer nicht nur für die inhaltliche Ausgestaltung der Verkündigung verantwortlich, sondern sieht sich (oder wird gesehen) als der Gemeindeleiter, der die inhaltlichen Aspekte der Arbeit bestimmt und ein gewichtiges Wort hat - wenn nicht sogar das letzte - bei der Verteilung der Mittel, die der Gemeinde zur Verfügung stehen. Damit hat der Pfarrer sich auch eine weltliche Macht angeeignet, die in meinen Augen nicht im Einklang ist mit der Botschaft des Neuen Testamentes und auch nicht im Einklang mit der Reformation.

Zumindest was die Landeskirchen in Deutschland betrifft, zeigt sich hieran meiner Meinung nach, dass die Reformation recht schnell stehen geblieben ist. Ein Teil der deutschen Fürsten machte sich selbst zu Herren über die Kirche. Dabei wurde das Machtverhältnis umgedreht, der weltliche Führer in einer Region bestimmte nun, wie die Kirche auszusehen hatte. Der Theologe blieb ein Teil der Obrigkeit, nur dass sich seine weltliche Position sich nicht mehr auf dem Papsttum, sondern auf den Landesherren gründete.

Im Laufe der Jahrunderte haben sich die Pfarrer von dieser Abhängigkeit emanzipieren können. Indem in den evangelischen Landeskirchen das Primat der Theologen in allen Diensten und Ämtern durchgesetzt wurde, haben die Theologen sich einen Teil der weltlichen Macht, die sie in der Reformation verloren haben, wieder zurückerobert, in den Landeskirchen zumindest.

Das an sich finde ich schon problematisch, verschärft wird das ganze aber auch noch durch eine Tendenz im Amtsverständnis, die ich als „schleichende“ Episkopalisierung im römischen Sinne bezeichnen möchte. Indem die Landeskirchen eine starke Top-Down-Strukturen einführen und damit immer häufiger in die presbyeterial-synodalen Entscheidungen eingreifen, wird die Macht der hauptamtlichen Theologen nur gestärkt. Das Kirchenleitung aber nicht Ausübung von Macht bedeuten kann oder darf, ist an anderer Stelle schon gesagt.

Brauchen wir noch den Pfarrer? Wir brauchen vor allem geistliche Führerschaft, Begleitung im Glauben und in einem Leben im Geiste des Evangeliums. Der Pfarrer muss meiner Meinung nach daher einen Blick für alle Aufgaben des Christenmenschen haben, aber nicht alle Aufgaben eines Christen selbst ausführen – was ihn oder sie weder dazu berechtigt, Aufgabengebiete von vornherein ganz für sich zu reservieren (einschließlich der Verkündigung) noch dazu, Aufgabengebiete von vornherein weit von sich zu weisen – also brauchen wir nicht den Pfarrherren, sondern den Fachmann, der in der Gemeinde als Seelsorger und theologisch kundiger Begleiter und Berater arbeiten kann.

  
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